iPhone 15 Pro und die Brille
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06.09.2023
Ich weiß. Niemand will noch etwas von der Brille hören.
Woher ich das weiß? Ich weiß es, weil ich die Abrufe unserer Sendungen zu diesem Thema vergleichen kann mit allen anderen Themen. Manche unserer Brillen-Themen hatten gerade mal 20 Downloads, obwohl die betreffenden Sendungen durchaus interessante Inhalte zu bieten hatten. Es ist ein völliges Desaster.
Es ist nicht meine Absicht, die Apple-Brille in diesem Artikel für gescheitert oder missraten zu erklären. Apple hat alle Chancen, sie zu einem Erfolg zu machen. Der interessante Aspekt ist, wie das gelingen soll. Dafür ist es hilfreich, die Ausgangslage zu verstehen.
Die Ausgangslage
Die Ausgangslage ist simpel: Die Brillen-Idee ist für die Kunden bisher nicht überzeugend. Es trifft nicht zu, dass die Brille nicht genügend Aufmerksamkeit bekam. Sondern die potenziellen Kunden verstehen nicht, was sie mit der Brille anfangen und warum sie dafür so viel Geld ausgeben sollten.
Auch eine zweistündige Keynote und dutzende Jubel-Berichte in den Medien haben daran nichts geändert. Die zentrale Frage: »Wofür und warum?« blieb weitgehend unbeantwortet. Deswegen haben die Kunden die ganze Idee erstmal zu den Akten gelegt. Es ist kein Thema, zu dem sie aktiv nach Informationen suchen.
Ich kann das mit Fakten belegen. Auf der Grafik unten sieht man die Häufigkeit des Suchbegriffs »Vision Pro« bei Google. Pfiffig ist dabei, dass niemand den Suchbegriff vor der Keynote kannte, wodurch wir einen präzisen Nullpunkt erhalten. Wir können also exakt ablesen, wie effektiv das Marketing bisher funktioniert hat, d.h. was die Marketing-Abteilung diesem Nullpunkt hinzufügen konnte:
Ergebnis: Nach einem Höhepunkt sieht man etwa zwei bis vier Wochen mit einem hohen Interesse. Danach fällt es fast auf Null zurück.
Sichern wir die Daten weiter ab. Hier ist zum Vergleich der Suchbegriff »Apple Glasses«; also ein allgemeiner Begriff, der nicht bereits die Kenntnis des Produkts voraussetzt:
Auch hier scheinen Apples Bemühungen keine Auswirkungen zu haben. Die Keynote verpuffte ohne beweisbaren Effekt.
Noch dramatischer ist das Ergebnis für »Vision Pro« direkt nach der Keynote. Nach zwei Wochen ist das Interesse komplett zusammengebrochen.
Hier zum Vergleich das iPhone im Jahr 2007. Wie wir alle wissen, gab es bei der Einführung drei große Wegmarken: Zuerst die Ankündigung im Januar, dann der Verkaufsstart im Sommer, dann die erste Preissenkung. In der zweiten Jahreshälfte ging das Interesse zurück und baute sich langsam wieder auf.
Man sieht: Ein starker Rückgang nach der ersten Ankündigung ist nicht ungewöhnlich und auch nicht schlimm. Aber es zeigt, woran Apple arbeiten muss und wird. Das Problem besteht zunächst nicht aus technischen Feinheiten, sondern aus Desinteresse.
Die Versuchung
Die Aufgabe des Marketings besteht darin, sich erstmal wieder ins Gespräch zu bringen. Die Versuchung ist groß, dafür die große iPhone-Keynote zu benutzen. Es gibt in der Technik-Welt keine größere Bühne.
Doch für die iPhone-Keynote gibt es eine unumstößliche Regel: Kein Produkt darf dem iPhone als größtem Star die Show stehlen. Das gilt ganz besonders für ein Produkt, das von der Presse als »kontrovers« wahrgenommen wird. Kontroversen sind immer interessanter als der fünfzehnte Aufguss eines bereits bekannten Produkts. Es wäre fatal, wenn die Presse sich auf diese Kontroverse stürzen würde, anstatt brav die Neuheiten des iPhone 15 zu erzählen. In diese Falle wird Apple sicher nicht tappen.
Die Verbindung
Aber vielleicht gibt es eine Lösung. Ich behaupte nicht, dass es so kommen wird. Aber wäre es nicht denkbar, dass ein paar der neuen Funktionen des iPhone 15 Pro etwas mit der Brille zu tun haben könnten?
Apple hat zwar demonstriert, wie eindrucksvoll Fotos und Videos in 3D wirken. Doch selbst völlig schamlose Nerds werden zum Fotografieren ihres Schnitzels wohl kaum die Apple-Brille aufsetzen. Es ist offensichtlich, dass wir dazu weiterhin unsere Smartphones benutzen werden. Aber Apple konnte es natürlich noch nicht ankündigen.
Könnte eins der großen Features des iPhone Pro also in einer 3D-Kamera bestehen, bei der zwei Linsen kombiniert werden? Anschließend würde eine Software dafür sorgen, dass der Effekt weiter verstärkt wird, d.h. dass der Abstand der Linsen virtuell vergrößert wird. Dazu müsste man den Vordergrund vom Hintergrund unterscheiden können — und genau daran hat Apple in den letzten zwei Jahren gearbeitet. Auch der LiDAR-Sensor der iPhones könnte dafür eingesetzt werden, weil er die Abstände der Objekte direkt messen kann, anstatt sie aus zwei Linsen zu rekonstruieren. Aber nie hat Apple eine wesentliche Anwendung für den LiDAR-Sensor gezeigt.
Indem Apple Funktionen in das iPhone einbaut, die man nur mit der Brille nutzen kann, wächst natürlich die Verlockung bei den iPhone-Käufern, sich irgendwann auch eine Brille anzuschaffen. Es wird nicht das einzige Argument sein, aber man sammelt ja meistens ein paar Argumente, bis man sich zum Kauf entschließt.
Dasselbe wäre denkbar für TV+. Sicherlich werden wir mehr und mehr 3D-Inhalte angeboten bekommen, und jedesmal werden wir uns ein wenig ärgern, dass wir keine Apple-Brille haben. Am Ende kaufen wir uns eine Brille für 4.999 Euro (ich kann den deutschen Preis ja schonmal verraten), weil wir uns ärgern, dass wir unser bereits bezahltes TV-Abo für 10 Euro nicht richtig ausnutzen können.
Nehmen wir mal zum Spaß an, das iPhone Pro Max hätte eine solche 3D-Kamera. Und nehmen wir weiter an, solche Videos wären per YouTube abspielbar. Und man müsste nichts weiter tun, als sich das iPhone vor die Nase zu halten. Wie viele YouTuber würden das sofort tun? Schon aus Angst, dass es die Konkurrenz täte? Es könnte sehr schnell sehr populär werden, und zwar allein deshalb, weil es so simpel wäre.
Natürlich ist zweifelhaft, ob YouTube ein 3D-Format von Apple unterstützen würde. Aber auch YouTube hat mittlerweile Konkurrenz.
Der Angriff
Apple muss ein Problem lösen, welches aus Marketing und Funktionen besteht. Die Kunden sehen derzeit keine begehrenswerten Funktionen und interessieren sich deswegen nicht für die Botschaften von Apples Marketing.
Die Funktionen könnten uns jetzt vorgeführt werden, Schritt für Schritt. Das Marketing besteht darin, dass wir möglichst oft über diese Funktionen stolpern, etwa bei YouTube & Co, oder bei TV+. Es ist kein Marketing im Sinne von »TV-Werbung«, sondern im Sinne von begehrenswerten Inhalten, die wir konsumieren oder selbst erzeugen können.
Vielleicht ist es für all das noch zu früh. Vielleicht muss man ein weiteres Jahr warten. Aber es scheint doch recht offensichtlich zu sein, dass Apple so viele Pferde wie möglich vor den Karren der neuesten Plattform spannen wird.
Eins dieser Pferde wird das iPhone sein. Deswegen bin ich gespannt, ob man auf der kommenden Keynote schon etwas davon zu sehen bekommt.
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