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Herr Meier ist weg!


16.04.2024   Viele Leute denken, die neuen KI-Systeme wären ein Ersatz für Google, quasi eine Frage-und-Antwort-Maschine. Der Unterschied zu Google ist jedoch, dass nicht einfach eine häufig genannte Antwort aus den Weiten des Webs gefischt wird. Sondern die neuen Systeme können eigene Schlüsse ziehen und auf diese Weise Antworten finden, die man mit einer Google-Suche nicht erhalten kann. Sie können auch herausfinden, worin überhaupt das Problem besteht.



Hier ein eindrucksvolles Beispiel:

Man stelle sich vor, ein Team in einem Büro oder in einer Arztpraxis müsste eine erkranktes Mitglied, Herrn Meier, ersetzen. Herr Meier verfügt über die Fähigkeiten X und Y. Nur eine weitere Person im Team verfügt über X und Y, alle anderen beherrschen nur eine davon, entweder X oder Y. Deswegen ist der Ausfall von Herrn Meier nicht leicht zu ersetzen. Die Frage ist, wie der Dienstplan so geändert werden muss, dass beide Fähigkeiten an jedem Tag abgedeckt sind, und dass sich möglichst wenig ändert?

Was tun? Eine Google-Suche nützt hier überhaupt nichts. Man kann es sich wohl auf einem Blatt Papier austüfteln, aber das Beispiel habe ich nur deswegen so simpel gewählt, weil es sprachlich etwas mühsam zu beschreiben ist und ich mich kurz fassen muss. Es ist aber leicht einzusehen, dass es für Menschen enorm schwierig wird, sobald noch die Fähigkeiten A, B und C zu berücksichtigen wären, und sobald es 80 Mitarbeiter beträfe, und sobald weitere Bedingungen hinzu kämen, etwa der freie Nachmittag von Herrn Schulze oder ein gesetzliches Limit für Überstunden.

Der klassische Ansatz für die Lösung eines solchen Problems liegt darin, eine Software zu entwickeln. Der Programmierer würde irgendeinen Weg finden, um Personalpläne zu erzeugen; aber das ist nicht einfach. Schon die Erfassung der Daten in digitaler Form (Mitarbeiter, Fähigkeiten, bisheriger Dienstplan, wer fällt aus) wäre eine recht große Aufgabe für einen Programmierer. Vielleicht wird aber die Personalplanung einfach anhand einer Tafel an der Wand des Personalbüros vorgenommen, was sich vielleicht als viel praxistauglicher erwiesen hat als irgend ein digitaler Schnickschnack.

Mit der neuen KI kann man solche Probleme lösen, ohne eine Software zu schreiben. Die KI findet eigenständig einen Weg. Nichtmal die Eingabe der Daten benötigt ein festes Format, sondern die KI »versteht«, was man meint. Sie kann sich die Daten sogar aus einem Screenshot oder einer Fotografie besorgen, beispielsweise der Fotografie eines Dienstplans.

Hier ist ein Transkript, wie GPT-4-Turbo (die derzeit beste KI-Engine) das Problem löst. Zuerst meine Eingabe:

Löse das folgende Problem, bei dem Mitarbeiter mit ihren Fähigkeiten X und Y so im Wochenplan verteilt werden, dass jede Fähigkeit, X und Y, an jedem Tag zur Verfügung steht. Ein Mitarbeiter ist erkrankt und muss durch die anderen Mitarbeiter ersetzt werden. Ändere den Wochenplan so, dass sich möglichst wenig ändert und trotzdem alle Fähigkeiten an jedem Tag zur Verfügung stehen.

Gib den neuen Wochenplan so aus, dass neben dem Namen in Klammern angegeben wird, welche Aufgabe er abdeckt. Beispiel: Frau Heinrich (X).

Mitarbeiter, Fähigkeit:
Herr Müller, Y
Frau Schulze, Y
Frau Heinrich, X und Y
Herr Meier, X und Y
Frau Haller, X
Herr Mett, X

Wochenplan:
Montag: Frau Heinrich, Herr Müller
Dienstag: Herr Meier, Frau Schulze
Mittwoch: Frau Haller, Herr Müller
Donnerstag: Herr Mett, Herr Müller
Freitag: Frau Heinrich, Frau Schulze

Erkrankte Person: Herr Meier.

Die KI gab daraufhin folgende Antwort. Auch die Anmerkungen sind von der KI. Ich habe nichts hinzugefügt.

Um den Ausfall von Herrn Meier zu kompensieren, müssen wir jemanden finden, der sowohl Fähigkeit X als auch Y besitzt, da Herr Meier beide Fähigkeiten hat. Die einzige andere Person mit beiden Fähigkeiten ist Frau Heinrich. Wir müssen also den Wochenplan so anpassen, dass Frau Heinrich an einem Tag arbeitet, an dem Herr Meier ursprünglich eingeplant war, ohne dabei die Abdeckung der Fähigkeiten X und Y an den anderen Tagen zu beeinträchtigen.

Ursprünglicher Wochenplan:
- Montag: Frau Heinrich, Herr Müller
- Dienstag: Herr Meier, Frau Schulze
- Mittwoch: Frau Haller, Herr Müller
- Donnerstag: Herr Mett, Herr Müller
- Freitag: Frau Heinrich, Frau Schulze

Da Frau Heinrich bereits am Montag und Freitag arbeitet, können wir sie nicht für Dienstag einplanen, ohne einen anderen Tag zu beeinträchtigen. Wir müssen also jemand anderen finden, der am Dienstag arbeiten kann und zumindest eine der Fähigkeiten abdeckt, die Herr Meier hat. Da Frau Heinrich die einzige andere Person mit beiden Fähigkeiten ist und sie nicht verfügbar ist, müssen wir uns auf die Mitarbeiter konzentrieren, die entweder X oder Y haben.

Eine Möglichkeit besteht darin, einen Mitarbeiter mit Fähigkeit X für Dienstag einzuplanen, da Frau Schulze, die an diesem Tag arbeitet, bereits Fähigkeit Y abdeckt. Wir könnten also entweder Frau Haller oder Herrn Mett für Dienstag einplanen. Da Frau Haller bereits am Mittwoch arbeitet, wäre es sinnvoll, Herrn Mett für Dienstag einzuplanen, um die Änderungen im Wochenplan zu minimieren.

Neuer Wochenplan:
- Montag: Frau Heinrich (X und Y), Herr Müller (Y)
- Dienstag: Herr Mett (X), Frau Schulze (Y)
- Mittwoch: Frau Haller (X), Herr Müller (Y)
- Donnerstag: Herr Mett (X), Herr Müller (Y)
- Freitag: Frau Heinrich (X und Y), Frau Schulze (Y)

Mit dieser Anpassung stellen wir sicher, dass an jedem Tag beide Fähigkeiten, X und Y, abgedeckt sind, und minimieren gleichzeitig die Änderungen im Wochenplan.

Man kann an diesem Beispiel sehen, wie gut die KI die (übrigens auf deutsch geschriebene) Aufgabe verstanden hat. Sie gibt gleich im ersten Absatz eine Zusammenfassung des zu lösenden Problems. Anders als bei einer klassischen Software sind der KI auch die Zusammenhänge bekannt: Wochentage, Wochenarbeitszeit, Personen, übermäßige Arbeitszeiten. Eine Software mit solchen Kenntnissen zu füttern ist nicht gerade trivial. Bei der KI scheinen sie einfach vorhanden zu sein.

Anschließend beschreibt die KI ihre Lösungsschritte und worauf es dabei ankam. Sie wägt verschiedene Lösungsmöglichkeiten ab und zeigt Spielräume. Anschließend entscheidet sie sich für eine Lösung und gibt sie aus.



Was bedeutet das?

Erstens, es ist eine riesige Revolution. Zweitens, es wirft die Frage auf, welche Software überhaupt noch geschrieben werden muss. Ein Software-Entwickler würde wohl nicht mehr monatelang (mindestens!) an einer Lösung tüfteln, sondern würde die KI einfach zum Kern seiner Software machen und sich nur noch um das »Drumherum« kümmern. Beispielsweise ein Knopf, mit dem eine Person krankgemeldet werden kann, und dann spuckt die Software einen neuen Dienstplan aus, ohne dass man einer KI das Problem erst noch erklären müsste.

Das wiederum bedeutet: Wir stehen vor einem immensen Umbruch sowohl bei den Fähigkeiten von Software, als auch beim Tempo, mit der sie entwickelt wird.

Drittens, diese Revolution ist zur Abwechslung mal tatsächlich nützlich. Seit der mobilen Revolution mit dem Smartphone und schnellen Mobilfunknetzen ist nicht mehr viel passiert, abgesehen von schwachsinnigem Schwachsinn wie Facebook, Twitter, Instagram und TikTok. Und abgesehen von Werbetracking. Und abgesehen von Cookie-Warnungen. Und abgesehen von Newslettern, Spam und noch mehr Spam. Silicon Vally wirkte in den letzten zwanzig Jahren, als würde es geleitet von Fix & Foxi.

Viertens, es macht die Nutzung von IT-Intelligenz viel leichter erreichbar, sodass mehr Menschen davon profitieren können — wie das Beispiel mit der Arztpraxis gezeigt hat.

Das war die Idee des ersten Macintosh. Man muss nicht immer jedes technische Detail wissen und beherrschen, sondern man hat vielleicht eine gute Idee und möchte sich darauf konzentrieren. Die Software soll das ermöglichen. Sozusagen der Computer als das »Fahrrad für den menschlichen Geist«, so sah es der junge Steve Jobs.

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